Die Unerträglichkeit des Augenblicks

Artikel-Nr.: 248

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Federzeichnung, Farbstift, Aquarell, Collage
Wvz. 5241
Format: 425 x 658 mm
​September 2020

* Fiktive Rahmung. Preis ohne Rahmen.


Ich weiß nicht mehr in welchem Roman oder in welchem Film die folgende Erkenntnis formuliert wurde, nämlich dass Krieg nicht in erster Linie aus den eigentlichen Kämpfen besteht, sondern fast ausschließlich aus Warten, Warten und nochmals Warten. Wenn man nun, nur z.B., den Feldzug Napoleons gegen das große Zarenreich von 1812 genauer betrachtet, bei dem gut zwei Drittel der französischen Invasoren ihr Leben bereits durch Hunger und Erfrierungen einbüßten bevor diese überhaupt das Schlachtfeld erreichten, nur einen Schuss abgeben konnten, wird auch schnell klar, das man als weitere Erkenntnis hieraus dem stumpfsinnigen Warten auch noch den totalen Verzicht auf Intimität, Individualität und kaum zu ertragende Entbehrungen hinzufügen müsste.

Auch wenn zu Beginn des Ersten Weltkrieges, nicht wie noch zu Napoleons Zeiten, keiner mehr zu Fuß oder auf Pferdekutschen zur weit entlegenen Front gekarrt wurde, so erleben Paul Bäumer und seine Freude beim Erreichen der Front dennoch gleich hautnah was es heißt den Alltag im Schützengraben bewältigen zu müssen, an einem Ort weit jenseits der allzu vertrauten, heimischen Schulklasse oder dem in sich abgeschotteten, gut durchorganisierten Kasernen Leben. Denn angesichts der nun plötzlich zu versorgenden Menschenmassen, fern an der Front, war man selbst zu Beginn des industriellen Zeitalters, seitens des Militärs, logistisch so überfordert, dass Soldaten Tage und manchmal über Wochen hinweg, sich irgendwie selber versorgen mussten. Dass dies natürlich meist nicht auf legalem Wege möglich war, liegt wohl auf der Hand.

Im Roman Im Westen nichts Neues wird zu diesem Thema auch eine groteske Szenerie beschrieben, in der es eine prall gefüllte Gulaschkanone tatsächlich mal zur Front schafft, der Koch allerdings angesichts der nach einem Gefecht stark dezimierten Truppe nicht gewillt ist die Suppe auszuteilen, weil er eben für gut doppelt so viele Männer gekocht hat. Preußisch korrekt halt – er hat für 150 Männer gekocht und deshalb gedenkt er auch erst dann das Essen auszugeben, wenn alle 150 angetreten sind. Das gut die Hälfte der Soldaten gefallen sind interessieren ihn nicht. Befehl ist Befehl. Erst auf Weisung eines zufällig vorbei kommenden Offiziers hin, der die zunehmend zu eskalieren drohende Szenerie im letzten Moment zu entschärfen weiß, erhalten die Männer ihre Suppe und auch jene zusätzlichen Portionen ihrer gefallenen Kameraden. Sich mal wieder richtig satt Essen zu können, muss damals, in den Schützengräben, ein nicht allzu selbstverständliches Gefühl gewesen sein.

Den Rest des Tages, nach dem die Essensbeschaffung geklärt wurde, verbringen Bäumer&Co damit irgendwie die Zeit totzuschlagen, den Tag über die Runden zu bringen, dem Stumpfsinn des Wartens halbwegs zu entrinnen. Stunden und Teils auch Tage müssen mit Nichtstun irgendwie sinnvoll ausgefüllt werden. Angesichts des ständigen Lärms des feindlichen Trommelfeuers ist Schlafen oder gar das Lesen und Schreiben jedoch nur eine bedingt zeitweise mögliche Option – das Karten, Dame oder Schachspielen, bei all den stetigen, aufrüttelnden Detonationen, nur eine Kurzweiligkeit – die Jagd auf die sich stets vermehrenden Ratten allerdings, ein beständige Beschäftigung für alle. Bis zu jenem Moment, in dem die nervliche Anspannung erneut auf ein Höchstmaß anstieg, jenem Zeitpunkt, kurz vor einem neuerlichen Angriff, im feuchten Dunkel des eigenen Schützengraben gemeinsam ausharrend, in dem sich wohl jeder gefragt hat, ob er am Abend wieder zurückkehren würde. Es müssen kaum zu ertragende Augenblicke gewesen sein …

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